Aktuell mal reingeklickt: Schiri-Lehrgang #3 thematisiert Selbstverständnis und die Regel aller Regeln

Derzeit paukt ein Dutzend künftiger Schiris die Fußballregeln. Für eine kleine Reportage hat sich sfv-halle.de mal ein Dreiviertelstündchen als Zaungast mit ins Onlinegeschehen eingeklinkt.

18 Uhr ist Anstoß. Paul Geißler, Lehrwart in Halle, vergleicht seine Teilnehmerliste mit den eintrudelnden Videokonferenz-Gästen. Alle da, kann losgehen. Am Bildrand stehen lauter Initialen. JN, RZ, RK und so weiter. Dahinter steckt eine bunte Truppe aus Halle und zwei weiteren Fußballkreisen, nämlich Magdeburg und Saalekreis. Wenn alles gut läuft, haben JN, RZ, RK und Co. bald einen Schiri-Ausweis in der Tasche. Denn das ist ihr Ziel. Und heute läuft Etappe 3. Zweieinhalb Stunden Regelkunde stehen bevor.

Die zurückliegende Woche war aus Schiri-Sicht höchst interessant. Gleich zwei knifflige Abseitsentscheidungen im DFB-Pokal, die Schiris unfreiwillig im Mittelpunkt – und trotz korrekter Entscheidung gescholten („arrogant“, „Frechheit“). Vor allem deshalb, weil emotionale Trainer das immer kompliziertere Regelwerk nicht durchschauen.

Da passt es gut, dass das heutige Meeting mit einer Reflexion zum „Selbstverständnis“ beginnt. Es gab nämlich eine Hausaufgabe: Sind Schiris fehlerfrei? Oder Spielverderber? Braucht man überhaupt welche? Die erste halbes Stunde rackern sich Lehrwarte und Neulinge an diesen Thesen ab.

Munterer Auftakt zur eigenen Rolle: Wie ticken Schiris?

„Tja, Fehler kommen vor. Aber sie sollten im Rahmen bleiben – und hinterher aufgearbeitet werden“, beginnt Rainer Zörner nach einigen stillen Sekunden, wie es für Videokonferenzen allgemein üblich ist, wenn keiner so richtig weiß, wann er ans Mikro sollte. Gemeinsam in einem echten Raum wäre es wohl leichter, das alles hier. Und so beendet er sein Statement auch mit „Ich hoffe, das Eis ist gebrochen.“

Und ja, das ist es tatsächlich: Lukas Berrang meldet sich per Chat, sagt sinngemäß dasselbe – fehlerfrei sei ja nun keiner. Dann schaltet sich Roland Kirstein per Kamera zu, als nächster Eisbrecher. Der Mann ist in Magdeburg sowohl Wirtschaftsprofessor als auch Fußballtrainer – sein Setting ist quasi goldrichtig: er im DFB-Shirt, und hinter ihm eine massive Bücherwand. Der Anfang seines Statements überrascht: „Schiris sind sehr wohl überflüssig!“ Allerdings bezieht Kirstein das nur auf die Jüngsten in der Fairplay-Liga, die wunderbar auch ohne Referees funktioniere. „Klar ist aber auch: Das klappt irgendwann nicht mehr. Wenn die Spieler älter und ehrgeiziger werden. Oder wenn Gehälter gezahlt werden.“ Aber Spielverderber seien die Schiedsrichter nun wirklich nicht: „Spielverderber ist, wer in andere brutal reingrätscht – aber doch nicht der Schiri, der dann Rot zeigt.“

Ohne Schiris, das passt auch für Lea Gies nur im Jugendbereich, aber nicht in höheren Ligen, „da jeder ein unterschiedliches Gerechtigkeitsempfinden hat“. Woraufhin Ralf Gottfried das tut, was man als Schiri auch immer mal tun muss: Er hält dagegen. Schiris werden auch in der G-Jugend schon gebraucht, meint er und hebt auf einen wichtigen Lernprozess für die Jüngsten ab. „Fußball ist halt ein Emotionssport, bei dem aber einer sachlich entscheiden muss.“

Leon Thürkow sieht das genauso. „Ein neutraler Blick ist wichtig. Das Bittere an Schiedsrichterfehlern ist, dass sie oft eine größere Auswirkung aufs Spiel haben.“ Das stimmt wohl: Referees können sich nicht dahinter verstecken, dass Mannschaften selbst ein Vielfaches an Fehlern produzieren.

Esskan Jendo meint derweil im Chat, dass Schiris grundsätzlich wohl Spaß am Fußball mitbringen. „Sonst hätten sie dieses schwierige Hobby (Job) nicht gemacht.“ Und Jamiro Völker schreibt hinterher, dass Schiris nebenher ja oft selber in Vereinen spielen.

[Update: Die Nachfrage, wie sich eigentlich die Lehrwarte zu den Fragen positionieren, haben wir dankend aufgenommen und weitergeleitet – Statements: siehe unten in den Kommentaren.]

Ball im Aus und dann gefoult – wie war das gleich noch?

18.23 Uhr ist die Statement-Runde vorbei. Lukas Pilz, der Magdeburger Lehrwart, startet die Nachwäsche zur Vorwoche. Ob noch Fragen offen waren, will er wissen. Und Leon Thürkow hebt die virtuelle Hand: Was, wenn ein Stürmer gefoult wird, nachdem er aber schon den Ball neben das Tor befördert hat? „LP“ blendet sich wieder ein: Kein Strafstoß! Wenn der Ball im Aus ist, während das Foul geschieht, kann es keine Spielstrafe (also Freistöße/Strafstöße) mehr geben. Eine persönliche Strafe (Gelbe/Rote Karte) aber schon, je nach Brutalität des Fouls.

Apropos: Das ist die perfekte Überleitung zum heutigen Schwerpunkt. Regel 12 – die Regel unter den Regeln (Kleiner Exkurs für Nicht-Schiris: Es gibt im Regelheft wirklich „nur“ 17. Aber die sind dermaßen ausdifferenziert, dass die Fallbeispiele einen Roman füllen. Selbst die Regel „Der Ball“ verbraucht mehrere Seiten: Welches Material? Wie groß? Wie schwer? Was ist mit Ersatzbällen? Und wenn der Hund ihn frisst? Und wenn er auf der Torlatte liegenbleibt? All sowas ist Schiri-Wissen! :-)

Zurück zu Regel 12, „Fouls und unsportliches Betragen“. Da steckt wirklich alles drin: Beißen, spucken, treten, stoßen. Vorm Strafraum gefoult werden, im Strafraum gefoult werden. Sich auf Gegner aufstützen, oder auf Mitspieler, drüberhalten, sperren, rempeln mit und ohne Ball. Den Ball mit der Hand spielen – da gibt’s echt Kuriositäten. Sich selbst anschießen ist okay, selbst wenn der Arm auf zwölf Uhr hängt. Macht‘s der Gegner, gibt’s im dümmsten Fall Strafstoß und Rot (sofern ein Tor verhindert wird).

Eine Regelfrage ist leicht: Den Schiri beleidigen, den Mitspieler, Gegenspieler, Zuschauer – alles Rot. Jedenfalls, wenn’s der Schiri hört… Aber was ist „Beleidigen“? Zählt da jedes Tier?

Mitten in die Fresse: Mit Lehrvideos am realen Beispiel diskutieren

Im Meeting laufen jetzt Lehrvideos. In der italienischen Serie A gibt es einen fiesen Tritt mit offener Sohle ins Gesicht auf fast 2 Meter Höhe. Dunkelrot, völlig logisch. Aber dann zuckt die virtuelle Hand von Lucas Naumann nach oben: „Hmh, können wir nochmal zu Video 8? Da gab es für eine ganz ähnliche Szene nur Gelb. Wie viel Spielraum hat man denn da?“ Und Jan Sander, der Saalekreis-Lehrwart, spult geduldig zurück, hält die Szene im richtigen Moment an: Tatsächlich sieht es auch hier nach Kickboxen aus, aber es wird immerhin auch der Ball gespielt und das Opfer hatte den Kopf recht weit unten. Die Lehrwarte sind sich (fast) einig: Hier reicht Gelb gerade noch aus.

Es sind diese Szenen, die so wichtig sind bei der Schiri-Ausbildung. Und die den Sport diskutabel machen. Unter Kommentatoren, am Stammtisch, aber auch unter Schiris!

[An dieser Stelle hat sich der Autor dieser Zeilen ausgeklinkt – es wird wohl ungefähr so weitergegangen sein…] [Und bei Interesse am Schiri-Dasein: Jeder Lehrwart würde sich über einen engagierten Anruf freuen, ganz egal ob von FZ oder JH oder welchen Initialen auch immer!]